26. Juli 2007

Die Deutsche Bahn AG und die nackten Musen

Die TLZ vom 26.07.07 hat das Plakat "entschärft".




Die Deutsche Bahn AG lehnte es ab, das Werbeplakat des Stadtmuseums Weimar für die Ausstellung mit den Stereo-Aktfotos von Heinrich Plühr in ihren für Reklamezwecke eingerichteten Schaukästen in der Bahnhofshalle Weimar auszustellen. Begründung: "Verstoß gegen Anstand, Sitte und Moral". Bei der Deutschen Eisenbahnreklame in Kassel wurde der TLZ auf Nachfrage erklärt: "zu sexistisch". Das Plakat zeigt eines der nackten Modelle Plührs - eine Kunstfotografie von 1890. Man sollte es nicht glauben - so eine Auffassung im Jahr 2007!

Zwanzig Meter weiter - im Zeitungsshop der Bahnhofshalle - ist eine ganze Regalwand wie überall in solchen Shops und Kiosken "prall" gefüllt mit den aufreizendsten Darstellungen auf den Titelblättern der einschlägigen Magazine und Hefte - das zeigt die ganze Scheinheiligkeit und Dummdreistigkeit der Verantwortlichen der Bahn: was dem Verkaufserfolg dient, und sei es noch so primitiv und abstoßend, wird toleriert; aber eine künstlerische Darstellung von für heutige Maßstäbe geradezu harmloser Natürlichkeit wäre den Bahnkunden nicht zuzumuten.

Die Ausstellung im Stadtmuseum Weimar zeigt auch überregional Aufmerksamkeit und großes Interesse - glücklicherweise ist das Publikum weitaus aufgeklärter und aufgeschlossener als die verklemmten Bedenkenträger der Deutschen Bahn AG.
Und noch etwas: Man erinnere sich an das "Nein" der Bahn zur Ausstellung über die Kindertransporte in die Konzentrationslager - auch hier sollten die Bahnhofshallen klinisch sauber bleiben. Im Vorfeld des unseligen Börsengangs der Bahn soll möglichst jede nicht ins Bild passende Aufmerksamkeit vermieden werden.

siehe auch: Post vom 19. Juni 2007 "Nackte Musen".

15. Juli 2007

Ungarische Nacht 2007

Kurzes Resümee:
Wunderschöner Abend mit Atmosphäre im Park, am schönsten nach Sonnenuntergang. Leider Gastronomie und "kulinarische" Versorgung nicht über DDR-Standard mit Papptellern und Plastebechern. Der herrliche Abend lud geradezu ein zum Verweilen und Flanieren auch nach Konzertende; aber die Versorgungsstände schlossen sofort und das Publikum strömte aus dem Park, offensichtlich auf der Suche nach einem gastronomischen Ausklang des schönen Abends in der Weimarer Innenstadt.

Was mich nachträglich beschäftigte, war musikalischer Art: Carl St. Clair begann den Abend, wie denn auch anders, mit Brahms Ungarischen Tänzen Nr. 1, 5 und 6. Alle drei waren für meine Belange zu langsam und ohne ungarisches Feuer dargeboten. Ich besitze zwei Schallplatten mit den Ungarischen Tänzen, eine Aufnahme mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur (aufgenommen 1981 im Studio Paul-Gerhardt-Kirche in Leipzig) und eine mit dem Budapest Festival Orchestra mit Iván Fischer (Hungaroton 1985). Die ungarische Fassung ist ungleich hinreißender musiziert, nicht zuletzt durch den Einsatz einer Zimbel wird der volkstümliche Charakter unterstützt.

Brahms veröffentlichte 21 ungarische Tänze: die ersten Zehn im Jahre 1869, die zweite Serie 1880. Ihre ursprüngliche Fassung: Klavier zu vier bzw. zwei Händen. Die Tänze haben sich in mehr als 100 Jahren in zahlreichen Transkriptionen auf der ganzen Welt verbreitet, leider nicht immer zu ihrem Besten. Iván Fischer schreibt dazu:

"Um die Jahrhundertwende wurden die Ungarischen Tänze unglaublich populär, sie wurden in fast jeder bürgerlichen Familie gespielt. So ist es kein Wunder, daß von fast allen Orchestertranskriptionen gefertigt wurden. In der Hand derer, die sie instrumentierten, wurden aus den einfachen Liedern, den Klageliedern und den frischen Csárdás sinfonische Effektstücke, sie verloren ihre ursprüngliche Würze. Deshalb mußten wir viele Transkriptionen umarbeiten, daß sie uns an Brahms´ Klavierstücke erinnern sollen, mehr noch auf die volkstümliche Intonation, die dem alten Brahms so sehr gefallen hat. Zu den meissten Tänzen improvisiert die Zimbel eine `Begleitung`, deren Praxis sich seit hundert Jahren nicht geändert hat."

Im Konzert musizierte als Gast aus Ungarn auch das Carpatian Folk Quartett. Und als letzte Zugabe wurde einer der Tänze vom Beginn noch einmal gemeinsam aufgeführt - und jetzt spürte man etwas von dem mitreißenden Vortragsstil der Zigeunerkapellen. Entstanden aus den sog. "Verbunkos" (Werbungstänzen, als Begleiterscheinung der Soldatenwerbung in Ungarn um 1750) findet man in den gesungenen oder instrumentalen Tanzstücken Stileinflüsse des Islam, des Nahen Orient, des Balkan und - durch Zigeuner vermittelt - der slawischen Musik neben Elementen neuerer italienischer und Wiener Musik und der traditionellen ungarischen Volksmusik.

Wer also diese Unmittelbarkeit in der Musik liebt, sollte versuchen, diese Hungaroton Platte SLPD 12 571 von 1985 noch irgendwo zu erwerben.

Zum Konzert noch ein Nachtrag: Die Schülerin des Musikgymnasiums Belvedere, Ute Klemm, begeisterte auf der Violine bei Pablo de Sarasate: Zigeunerweisen für Violine und Orchester op. 20.